Akerlof/Kranton: Identity Economics

Jetzt gibt es das Buch von George A. Akerlof und Rachel E. Kranton auch auf Deutsch (Carl Hanser Verlag, München, 19,90 Euro). Die Einleitung kann man hier als pdf lesen. Aktuelle Informationen findet man in Englisch auf der Webseite identityeconomics.org
Es (r)evolutioniert nicht nur das Selbstverständnis der orthodoxen Volkswirtschaftslehre, indem es Identität, soziale Kategorien, Normen und soziale Beziehungen als zentrale Konzepte einführt. Die Identitätsökonomie verändert auch die "ökonomische" Methode tiefgreifend, zum einen durch die Anwendung etwa von ethnografischen Mikrostudien
"Ein Großteil der Wissenschaft beruht auf der sehr sorgfältigen Beobachtung kleiner Dinge. Diese alternative Methode ist auf vielen Gebieten erfolgreich, weil der Schlüssel zum Gesamtergebnis auf die mikroskopisch kleinen Bereich zu finden ist. (...) Die Ethnographien, die wir untersucht haben, versuchen die sozialen Codes von wirtschaftlichen Einheiten wie zum Beispiel Firmen, Schulen und Haushalten aufzudecken. (...) die besten ethnographischen Studien (...) konstruieren aus den vielen Details, die sie erfassen, ein konsistentes Bild menschlichen Verhaltens, indem sie der tieferen Bedeutung von Aussagen große Aufmerksamkeit schenken." (S. 142 f.)
Zum anderen setzt die Identitätsökonomie methodologisch stark auf die Analyse der sozialen Einbettung:
Wir verknüpfen "im Rahmen der Identitätsökonomie zunächst Personen mit bestimmten sozialen Kategorien. Sodann stellen wir die bei sozialen Kategorien vorherrschenden Normen fest. Und als dritten Schritt postulieren wie die persönlichen Gewinne oder Verluste, die sich angesichts der jeweiligen Identität und der entsprechenden Normen aus verschiedenen Entscheidungen ergeben. Aus diesen Gewinnen und Verlusten ergibt sich dann in Kombination mit den Ergebnissen der herkömmlichen ökonomischen Analyse, was die Menschen tun werden." (S. 17)
Auch für die orthodoxe ökonomische Bildung, die sich eng an die Mainstream-Volkswirtschaftslehre anlehnt, steht ein Konzeptwechsel hin zu einer sozio-ökonomischen Bildung an, die die Lernenden als Subjekte und nicht nur als Container für wirtschaftswissenschaftliches Wissen ernstnimmt. Diese Neuorientierung kann der neue Ansatz von Akerlof und Kranton anleiten. Die Subjektorientierung und die Legitimität der Diversität von "ökonomischen" Identitäten, die man keinesfalls auf die üblichen, normativ vorgegebenen Homo Oeconomicus-Varianten reduzieren kann, lässt sich jetzt unmittelbar aus der fachwissenschaftlichen Debatte begründen.
Das Buch kann man auch als fundiertes und leidenschaftliches Plädoyer für eine sozio-ökonomische Bildung lesen, beispielsweise:
"Wir haben allen Grund zu glauben, dass dies [das Prinzip der Identität] nur der Anfang ist. Viele psychologische und soziologische Standardkonzepte passen in unser Konstrukt, und zwar mit erheblicher Allgemeingültigkeit und einem gemeinsamen Themenkomplex: Selbstbild, Selbstverwirklichung, Situation, Insider- und Außenseitertum, das Selbst im Vergleich zu anderen, Sozialstruktur, Macht und Unterschiedlichkeit." (S. 158)
"Und es gibt noch tiefergehende Fragen. Was ist der Ursprung von Norm und Identität? Wie ändern und entwickeln sie sich? Welche Wechselwirkung besteht zwischen Identität, Wirtschaftspolitik und Normen in verschiedenen Ländern? Wie kann man das Entstehen und Abebben von Gruppenkonflikten erklären?" (S. 158)
Hier stößt man auf strukturelle Parallelen zu den Akteurbildern, mit denen die Soziologie arbeitet. Der Bremer Soziologie Uwe Schimank etwa arbeitet in seinem Buch "Handeln und Strukturen. Einführung in die akteurtheoretische Soziologie" (Weinheim, München 2000) mit mehreren Akteurmodellen: Homo sociologicus, soziologisierter Homo oeconomicus (Rational Choice), Emotional Man und Identitätsbehaupter.
Weitere Texte im Netz (direkt zum download):
Slee. 2010. Review: Identity Economics.
Akerlof. 2006 (draft). The Missing Motivation in Macroeconomics.
Akerlof/Kranton. 2005. Identity and the Economics of Organizations.
Akerlof/Kranton. 2002. Identity and Schooling.
Akerlof. 2001. Behavioral Macroeconomics. Nobel Prize Lecture.
Akerlof/Kranton. 2000. Sophie Crocoll auf Zeit.de, 2011, Thorsten Giersch in Wirtschaftswoche online, 2011, Jochen Zenthöfer in faz.net, 2011, Tony Cannard in Economic Analysis and Policy, 2011, Paul Rosenberg auf openleft.com, 2010, Robert Sugden in Science, 2010, und Evan R. Goldstein in The Chronicle or Higher Education, 2010, Samuel Tombs in The Sociecty of Business Economists.

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