Der Siegeszug der Trivial-Pursuit-Gesellschaft

Ein persönlicher Kommentar von Bettina Zurstrassen

Die Botschaft ist nicht neu, aber schön, dass wir jetzt empirische Daten haben. Deutschland ist also ein Land ökonomischer Bildungsanalphabeten. Im Schnitt konnten die 1000 Befragten weniger als 14 der 25 gestellten Fragen des „Indikators minimalen Wirtschaftswissens“ richtig beantworten (Quelle 1), verkünden Bildungsforscher des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung in Berlin. Die Daten eigenen sich hervorragend für bildungspolitische Skandalisierungsprozesse. Verraten wird uns, wer die Daten produziert hat, nicht wer sie finanziert hat. Dabei ist die Frage nach den Interessen, die mit dieser Studie verfolgt werden, für ihre bildungspolitische Einordnung bedeutsam. Der Erscheinungsort „Handelsblatt“ lässt ungefähr erahnen, wo die Geldgeber politisch zu verorten sind. 2010, im Jahr des von den Wirtschaftsverbänden ausgerufenem „Jahr der ökonomischen Bildung“ wurden mehrere Studien veröffentlich, die von der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft finanziert wurden. Die Ergebnisse der ersten Erhebungswelle zum Indikator minimalen ökonomischen Wirtschaftswissen wurden 2010 ebenfalls exklusiv im Handelsblatt publiziert. Die empirischen Ergebnisse des Max-Planck-Instituts zum Wirtschaftswissen werden bildungspolitisch wirkungsmächtig sein. Mit Daten wird soziale Wirklichkeit konstruiert. Der Hype um Vergleichstests und Kompetenzmessungen der letzten 20 Jahre hat bis weit in die Wissenschaft hinein zu einer blinden Empiriegläubigkeit erzogen.

Die Trivial Pursuit-Gesellschaft

Der Indikator minimalen Wirtschaftswissens passt ideal in den Mainstream der politikaffinen Bildungsforschung. Er reiht sich nahtlos in die Trivial-Pursuit-Gesellschaft ein. In den 1980 Jahren hat das Spiel „Trivial-Pursuit“ seinen Siegeszug in der weltweiten Spielelandschaft angetreten. Trivial Pursuit war auch deshalb so erfolgreich, weil es der neuen us-amerikanische Bildungsideologie entsprach. Eine Bildungsideologie, die angetreten war Bildung zu (ver)messen. Bildungs- und kultursoziologisch müsste untersucht werden, ob die Reduktion von Bildung auf „Faktenwissen“ tatsächlich nur der Begrenztheit diagnostischer Erhebungsinstrumente geschuldet war oder vielleicht doch zum bildungspolitischen Programm gehörte. Der kritische Bürger in demokratischen und sich demokratisierenden Gesellschaften macht es der Politik zunehmend schwerer durchzuregieren. In globalisierten Märkten wird der kritisch-mündige Bürger als Wettbewerbsnachteil klassifiziert.

In der Trivial-Pursuit-Gesellschaft wird die Ideologie gepflegt, dass Faktenwissen ein Indikator für Bildung ist. Seitdem diagnostiziert die Bildungsforschung in loser Reihe Bildungskatastrophen. US-Amerikanische Schülerinnen und Schüler scheitern beim Grundwissen „Geschichte“ (Quelle 3). Deutschlands Schülerinnen und Schüler scheitern bei PISA. Bei der vom Max-Planck-Institut betreuten Civic-Education-Studie und im Grunde bei nahezu allen nationalen und internationalen Bildungsstudien der letzten Jahre. Nicht einmal beim minimalen medizinischen Wissen werden in Deutschland befriedigende Ergebnisse erzielt.

Es bedarf nicht viel Phantasie sich vorzustellen, wie die mantraartig vorgetragenen Katastrophenmeldungen diverser Bildungsstudien auf die Lernmotivation und das Selbstbild der Schülerinnen und Schüler wirken. „Wir sind die Doofen“, oder „Ich bin PISA“, so charakterisieren sich Schüler und Studierende heute. Eins aber ist immer sicher: Die Bildungsstudie nährt den Bildungsforscher, und das nicht einmal schlecht.

Bildungstheoretische Relevanz ungeklärt

Das Problem dürften auch die Erhebungsinstrumente sein. Studien zum Indikator minimalen Wissens über Kunst, Politik, Astronomie, Technik oder Geografie werden zu vergleichbar desolaten Ergebnissen führen wie die Untersuchung zum Indikator minimalen Wirtschaftswissens. Die von Gigerenzer durchgeführte Studie zum Indikator minimalen medizinischen Wissens deutet hierauf hin (Quelle 4). Es wird in vielen Wissensstudien entkontextualisiertes, deklaratives Wissen abgefragt. Niemand wird heute noch auf die Idee kommen, dass man eine Fremdsprache nur über das sture Einpauken von Vokabeln lernen kann. Es bedarf der Grammatik, um das Wissen zu ordnen, es reflektiert einsetzen zu können. Vor allem muss die Sinnfrage geklärt werden, um Relevanzstrukturen aufbauen zu können. Beim Rezipieren eines basalen Fremdsprachentextes muss der Leser nicht jedes Wort verstehen, um den Sinn erschließen zu können. So ist es auch beim Erschließen grundlegender wirtschaftlicher Zusammenhänge. Nachzuvollziehen, dass 2007 beim Ausbruch der Finanz- und Wirtschaftskrise ein Kontroll- und Ethikversagen auf den internationalen Finanzmärkten vorgelegen hat, dazu muss man nicht die finanzmarktspezifischen Begrifflichkeiten en Détail definieren können. 

Gigerenzer hat aber Recht mit seiner Forderung an die Politik, in die „lebenswirkliche Bildung der Bürger zu investieren“ (Quelle 5). Bei der Entwicklung des „Indikators für minimales Wirtschaftswissens“ wurde aber gerade das nicht getan. Es wurden qua Lehrstuhlökonomik  Items von Wirtschaftswissenschaftlern entwickelt. Nach der bildungstheoretischen und pragmatischen Relevanz der einzelnen Items für die Lernenden, nach ihren Lernbedürfnissen, wurde nicht gefragt.

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