DGB: Stellungnahme zu den Forderungen der Arbeitgeber- und Wirtschaftsverbände

1. Ökonomische Bildung nach der Wirtschafts- und Finanzkrise

Der internationale Bankencrash, die Euro-Krise, die Sorge um den Arbeitsplatz hat lange Zeit die wirtschaftspolitische Diskussion geprägt. Die Krise ist nicht vom Himmel gefallen. Sie ist Produkt eines marktradikalen Mainstreams. Was zählte waren die Interessen der Unternehmen und die Gier nach schnellem Profit, nach guten Quartalszahlen. Auch die Politik hat diese Entwicklung aktiv befördert: Märkte wurden dereguliert, öffentliches Eigentum privatisiert, die Arbeitnehmerrechte beschnitten

Gerade die Gewerkschaften waren es, die einen entscheidenden Beitrag zur Überwindung der Krise geleistet haben. Kurzarbeit und Konjunkturprogramme – viele Ansätze der erfolgreichen Krisenbewältigung gingen auf gewerkschaftliche Initiativen zurück. In der Krise hat sich gezeigt, dass Betriebs- und Personalräte, Mitbestimmung und Tarifautonomie unverzichtbar sind.

Doch die Ursachen der Krise sind noch nicht bewältigt. Alte Ideologien und Konzepte, die die Krise verursacht haben, werden wieder hervorgeholt. So fordern die Spitzenverbände der Wirtschaft unverhohlen, dass ein Pflichtfach Wirtschaft eingeführt wird, in dem die Schülerinnen und Schüler altes marktradikales Denken lernen sollen – als hätte es die Krise niemals gegeben. In diese Richtung zielt auch ein Vorstoß des Gemeinschaftsausschuss der deutschen gewerblichen Wirtschaft, der unter dem Dach des Zentralverbandes des deutschen Handwerks (ZDH) angesiedelt ist. So präsentieren jetzt die Arbeitgeber-Verbände Standards für Ökonomische Bildung in der Schule und die Lehrerausbildung.

Die Vorschläge haben die Krise noch nicht reflektiert: Tarifvertrags-, Arbeitskampf-, Betriebsverfassung und Mitbestimmungsrecht werden als Problem angesehen (S.128).

Integrationsfächer wie Sozialkunde, Sozialwissenschaften oder Politik/Wirtschaft sowie die Einbettung von politischen und sozialen Zusammenhängen der ökonomischen Bildung werden kritisiert. Das Pflichtfach Wirtschaft soll anscheinend den Spitzenverbänden der Wirtschaft dazu dienen, ihr Verständnis einer deregulierten Wirtschaft an die Schulen zu bringen und zu legitimieren. Die Bezeichnung „ökonomische Bildung“ für diese Kampagne ist irreführend.

2. Kritik des DGB am Konzept der Spitzenverbände der Wirtschaft

  • Das Pflichtfach Wirtschaft führt zu einer Zersplitterung der Stundentafel: Das Konzept spricht sich ausdrücklich gegen interdisziplinäre Fächer aus. Insbesondere wendet sich das Gutachten gegen die Zusammenlegung des Profils Sozialkunde/Politik/Wirtschaft (S. 84). Denkt man dies konsequent zu Ende, entstünde an den Schulen eine unsägliche Fächervielfalt. Allein der Bereich Sozialkunde/ Politik/ Wirtschaft ließe sich in die Fächer Wirtschaft, Politik, Recht und Sozialkunde aufteilen. Warum nicht gleich andere – ebenfalls gesellschaftlich relevante - Fächer hinzufügen: Gesundheit, Medien, Technik? An den Schulen entstünde ein zersplitterter Fachunterricht, das Denken in Zusammenhängen käme definitiv zu kurz.

  • Die Standards für Ökonomische Bildung setzt sich nur mit Leitideen, Konzepten und Teilordnungen (S. 30, 33, 37, 60, 67) der Sozialen Marktwirtschaft auseinander. Konkrete Entwicklungen, auch kritische Tendenzen werden ausgespart. Warum sollen die Schülerinnen und Schüler in der ökonomischen Bildung nichts über die Zunahme prekärer Beschäftigung, die auch im internationalen Vergleich starke Abhängigkeit von sozialer Herkunft und beruflichem Erfolg, die zunehmend ungleiche Vermögensverteilung, die Besetzung fast aller Leitungspositionen durch Männer etc. erfahren?

  • Als Teil des Gemeinwesens werden in dem Gutachten Verbraucher, Arbeitnehmer, Unternehmer und „Wirtschaftsbürger“ genannt. Letzterer – in der Rolle des Transferempfängers, Beitrags- und Steuerzahler und Wählers (S. 11, 15) – braucht besondere wirtschaftswissenschaftliche Kenntnisse, um seine Funktion wahrnehmen zu können. Die fehlende Sinnhaftigkeit dieses Rollenkonstruktes zeigt sich schnell, wenn man sich dazu parallele Rollen wie „Sozialbürger“, „Gesundheitsbürger“, „Umweltbürger“ oder „Politikbürger“ vorstellt.

  • Das Gutachten präsentiert das Bild einer klinisch reinen Wirtschaft: Kriminell sind hier lediglich die Arbeitnehmer (Krankfeiern) die Verbraucher (Zigarettenschmuggel) und die Versicherten (Versicherungsbetrug S. 49, 66). Unternehmer bleiben hingegen unbefleckt. Die Schülerinnen und Schüler lernen nichts über Korruption, die systematische Abwälzung von Risiken auf Staat und Steuerzahler oder illegale Beschäftigung. Auch Fragen der Wirtschaftsethik kommen nicht vor. So verwundert auch nicht, dass die globale Wirtschafts- und Finanzkrise in dem Konzept der Wirtschaft nicht reflektiert wird.

  • Die ökologische Krise kommt in dem Konzept der Wirtschaft viel zu kurz. Sie wird lediglich in einer Aufgabe thematisiert (S. 9)

3. Der DGB warnt vor einer einseitigen Vereinnahmung der ökonomischen Bildung

Ökonomische Bildung muss die unterschiedlichen wirtschaftlichen Theorien in ihren Aussagen, Interessenbezügen und Reichweiten zur Geltung kommen lassen. Sie muss Schülerinnen und Schüler befähigen, in einer von Interessensgegensätzen geleiteten Gesellschaft eigene Standpunkte zu finden und zu vertreten. Für den DGB gilt, dass im öffentlichen Lernort Schule die kritische Urteilsbildung der Schülerinnen und Schüler im Mittelpunkt steht. Unterrichtsmaterialien dürfen nicht zur Selbstdarstellung und Interessenspolitik missbraucht werden. Am Ende einer Unterrichtseinheit müssen mehrere Lösungen für ein soziales, politisches oder ökonomisches Problem stehen. Ökonomische Bildung, die auf reines Vermitteln technischen Wissens beschränkt ist, trägt nicht zu der Entwicklung der kritisch-reflexiven Handlungskompetenz bei, die in der Didaktik der politischen Bildung zu Recht gefordert wird.

4. Es geht auch anders: DGB fordert sozioökonomische Bildung

Sozioökonomische Bildung ist praxisorientiert und interdisziplinär. Sie bindet politische und gesellschaftliche Zusammenhänge von Arbeit und Wirtschaft ebenso ein wie soziale, ethische, rechtliche und ökologische Aspekte. Eine zeitgemäße sozioökonomische Bildung klärt Schülerinnen und Schüler über ihre individuellen und kollektiven Handlungs- und Mitbestimmungsmöglichkeiten auf. Diese Bildungsziele sollten leitende Kriterien für die Auswahl von Unterrichtsinhalten und Unterrichtsmethoden sein.