Die Glaubensgemeinschaft der Ökonomen zweifelt

Der Siegener Volkswirt hier kostenpflichtig über Genios).
Er fordert, dass Studierende frühzeitig lernen, "dass die mikro- und makroökonomischen Theorien keine in sich geschlossenen Lehren sind, sondern Zusammenstellungen unterschiedlicher Entwicklungsstränge" und meint, dass "wir einen Methodenpluralismus brauchen".
Goldschmidt hat "Hoffnung, dass sich die 'Glaubensgemeinschaft der Ökonomen' [...] bewegt" und dass auch Ökonomen beginnen, "den Wert gesellschaftlicher Analysen wieder zu schätzen. Sie begreifen, dass wirtschaftliche Reformprozesse auch von historischen, kulturellen und spezifischen politischen Bedingungen abhängen". Es sei die "wirtschaftswissenschaftliche Forschungselite", die sich öffne und Wirtschaftswissenschaften als Sozialwissenschaften begreife.
Reform der akademischen Lehre nötig
Die wirtschaftswissenschaftliche Lehre hinke hier weit hinterher, so Goldschmidts Diagnose. Allerdings wachse an "jüngeren und häufig privaten Hochschulen" die "Nachfrage nach Studiengängen an der Schnittstelle von Politik, Philosophie und Ökonomie". Dies sollten die "etablierten und traditionellen Universitäten" als Mahnung verstehen und einsehen, "dass eine Reform des wirtschaftswissenschaftlichen Studiums nötig ist". Ein historischer Verweis auf die Vielschichtigkeit der wirtschaftswissenschaftlichen Argumentation von Keynes darf dann auch nicht fehlen.
Hinkt die ökonomische Bildung der akademischen Lehre hinterher?
Nils Goldschmidt ist Professor für Wirtschaftswissenschaften und ihre Didaktik und Direktor des Zentrums für ökonomische Bildung in Siegen (ZöBiS).
Man darf deshalb gespannt sein, wie seine Botschaft in der wirtschaftswissenschaftlichen Wirtschaftsdidaktik bewertet wird.
Einige Wirtschaftsdidaktiker lehnen interdisziplinäre Lehramtsstudiengänge wie Sozialwissenschaften oder Wirtschaft und Politik ab und fordern ein monodisziplinär-wirtschaftswissenschaftliches Studium für ein monodisziplinäres Schulfach "Ökonomie". Für diese Position steht z. B. das Gutachten "Ökonomische Bildung an allgemeinbildenden Schulen" im Auftrag des Gemeinschaftsausschusses der Deutschen Gewerblichen Wirtschaft von 2010 (S. 103-134; pdf hier herunterzuladen).
Nachbemerkung zur disziplinären Vereinnahmung einer Nobelpreisträgerin
Elinor Ostrom, Trägerin des sogenannten Wirtschaftsnobelpreises und von Goldschmidt als ein Beispiel für die "wirtschaftswissenschaftliche Forschungselite" angeführt, hatte ein angespanntes Verhältnis zu den Wirtschaftswissenschaften und wurde von dort keineswegs einfach akzeptiert. Das belegt sie in ihrer Akademischer Lebenslauf weist sie als interdisziplinär-sozialwissenschaftlich orientierte Politikwissenschaftlerin aus, die sich inbesondere mit Institutionen beschäftigt und dabei auch wirtschafts- und biowissenschaftliche Zugänge nutzt. Sie gehört zur Gruppe der Neuen Institutionalisten in der Politikwissenschaft und zugleich zur Neuen Institutionenökonomik. Nachdrücklich hat Ostrom vor starken Vereinfachungen in Modellen und daraus hergeleiteten Handlungsempfehlungen gewarnt.
Den Nobelpreis erhielt Ostrom übrigens 2009 zusammen mit Oliver E. Williamson, der ebenfalls disziplinenübergreifend und vor allem mit wirtschafts-, rechts- und organisationswissenschaftlichen Konzepten arbeitet. 
Ostrom als Protagonistin des Pluralismus
Zusammen mit ihrem Mann Vincent hat sie 1973 das Forschungsinstitut Philosophie betont die Notwendigkeit von wissenschaftlicher Multiperspektivität und Interdisziplinarität:
"Human behavior is shaped by institutions and incentives, and understanding these relationships is essential not only for advancing humanity but also for analyzing public policies that affect people’s lives and the world in which they live.  This field of study cannot be the domain of one discipline alone, because behavior, institutions, and incentives are multifaceted and are better understood from diverse perspectives. The mission of The Vincent and Elinor Ostrom Workshop in Political Theory and Policy Analysis is to promote the interdisciplinary study of institutions, incentives, and behavior as they relate to policy-relevant applications."
Reinhold Hedtke