Gefährliche Verstrickungen von Volkswirten

Mit wirtschaftlichen Interessenkonflikten und ideologischer Voreingenommenheit von Volkswirten setzt sich der Beitrag "Dangerous interconnectedness: economists' conflicts of interest, ideology and financial crisis" der Volkswirte Jessica Carrick-Hagenbarth und Gerald A. Epstein (University of Massachusetts) auseinander, der im Cambridge Journal of Economics (vol. 36, 2012, Januar, S. 43-63, doi:10.1093/cje/ber036) erschienen ist.
Untersucht werden Volkswirte, die in zwei Gruppen der Politikberatung im Vorfeld und im Zusammenhang mit der Finanzkrise 2008 aktiv waren, mit Fokus auf ihren privaten ökonomischen Verflechtungen und der Frage, ob und inwieweit sie diese Privatinteressen mit Blick auf ihre politischen Ratschläge öffentlich transparent gemacht haben.
Das Ergebnis ist verblüffend klar: 15 von 19 dieser politikberatenden Volkswirte hatten private Verbindungen und Interessen zur Finanzindustrie. Die Regel war, dies im Kontext von Publikationen überwiegend nicht offenzulegen. Im Zuge der Bemühungen der American Economic Association um mehr Transparenz, hat sich dies in jüngster Zeit geändert.
Diese private wirtschaftliche Interessenlage der Volkswirte. so die Autoren, war deckungsgleich mit denen der Kapitaleigentümer (Rentiers) und auf engste mit ideologischen Sichtweisen auf Märkte und Regulation verquickt: Sie machten sich in frappierender Übereinstimmung zu starken Befürwortern von Finanzproduktinnovationen in Kombination mit der Deregulation der Finanzmärkte (S. 52). Auch nach der Krise wandten sie sich meist gegen eine wirksame Regulierung der Finanzmärkte und engagierten sich stattdessen für massive staatliche Sparpolitik.
Ein Grund für diesen Konformismus sehen Carrick-Hagenbarth und Epstein in der orthodoxen Ausbildung in Volkswirtschaftslehre an den Hochschulen und in der dort oft vorherrschenden Belohnung stromlinienförmigen Denkens.
"These same economists who mostly failed to warn of the increasing financial fragility and impending crisis also have developed a basic consensus view that favours more marketbased reforms and relatively less government regulation as a way of preventing future financial meltdowns." (S. 59)
"It was this crisis and similar ‘neoliberal’ understandings of economic theory, combined, in all likelihood, with continuing material conflicts of interest for some economists, that led to loud, destructive voices for austerity. The voices of the rentier interests can be heard loud and clear in this call." (S. 59)
Allzu optimistisch sind die Forscher nicht, dass ein Ethikkodex die wissenschaftlich-interessenpolitische Schieflage ändern wird. Aber sie hoffen, dass es so gelänge, den Anstrich der Objektivität derjenigen anzukratzen, die die Volkswirtschaftslehre missbrauchen, um Sonderinteressen der Finanzindustrie zu stützen. So könnten sich die Machtverhältnisse zwischen Finanzinteressen und der Bevölkerung wenigstens ein wenig zugunsten letzterer ändern.
Eine Vorversion der Studie gibt es auch als Arbeitspapier: "Financial Economists, Financial Interests and Dark Corners of the Meltdown: It's Time to set Ethical Standards for the Economics Profession" (Oktober 2010, Workingpaper als pdf: siehe unten).
Reinhold Hedtke