Kritik am Modellplatonismus

Ihre energische Stellungnahme zum Konzept der Wirtschaftsverbände habe ich mit großem Interesse gelesen. Ich werde mir jetzt als nächstes das Gutachten von Herrn Kollegen Retzmann näher ansehen, um mir ein fundiertes Urteil bilden zu können. Wie auch immer dieses ausfallen mag: Ihre Initiative finde ich sehr verdienstvoll, und es wäre wünschenswert, wenn sie dazu beitrüge, die wissenschaftliche und bildungspolitische Diskussion über Ziele und Inhalte der ökonomischen Bildung auf breiter Basis zu intensivieren.

Die Vereinnahmung bzw. Indienststellung der Wissenschaft für verbändepolitische Interessen ist hierbei nicht sonderlich hilfreich. Mit „herrschaftsfreiem Diskurs“ oder weniger emphatisch formuliert: mit Unabhängigkeit wissenschaftlicher Diskussionskultur ist das nicht gut in Einklang zu bringen.

Im Übrigen wundere ich mich immer wieder darüber, wie wenig die von Ihnen thematisierte Kritik am „Modellplatonismus“ wirtschaftswissenschaftlichen Denkens in der Ökonomiedidaktik hat Fuß fassen können. Grundlegende Aufsätze wie die von Hans Albert aus den 1950er Jahren, speziell zur „Marksoziologie und Entscheidungslogik“, scheinen offenbar in Vergessenheit geraten zu sein. Über „ökonomische Bildung“ zu sprechen fordert meines Erachtens heraus, den scheinbar sicheren Boden wirtschaftswissenschaftlicher Fachdisziplinen zu verlassen. Es geht um mehr als nur um die Befähigung zur Analyse und zum Handeln nach Prämissen ökonomischer Rationalität. Wer heute unter Bedingungen zunehmend globalisierter und vernetzter Wirtschaftsbeziehungen die Komplexität ökonomischen Handeln verstehen und darauf seine Entscheidungen stützen, vielleicht sogar als kritischer Wirtschaftsbürger am öffentlichen Leben teilhaben will (oder soll), kommt diesem (Lern-)Ziel nur näher, wenn ihm die lebenspraktischen, sozialen und politischen Kontexte ökonomischen Fachwissens zugänglich gemacht werden. Und zwar nicht als lineare Akkumulation standardisierten Wissens, sondern in Formen fächerübergreifenden integrierten und reflexiven Lernens! Es wäre wünschenswert gewesen, wenn sich die Wirtschaftsverbände bei Ihren Empfehlungen für die „Ökonomische Bildung an allgemeinbildenden Schulen“ an einer breiteren Basis der wissenschaftlichen Diskussion auf diesem Gebiet orientiert hätten.