Achtung Sozioökonomie!

Das von der BDA initiierte und vom Bundesinnenministerium umgesetzte (zeitweilige) Vertriebsverbot des TuM-Bandes „Ökonomie und Gesellschaft“ ist in sämtlichen Medien sowie in weiten Teilen der Öffentlichkeit auf scharfe Kritik gestoßen. Der Vorgang ist damit nicht nur ein Fallbeispiel für Lobbyismus. Er ist auch ein Exempel für die Macht der Bürgerinnen und Bürger, die sich gegen wie auch immer geartete Zensur zur Wehr gesetzt haben. Es belegt, dass politisches Engagement etwas bewegen kann.
Der Aufhebungserlass des Bundesinnenministeriums macht zur Voraussetzung, dass dem TuM-Band ein Informationsblatt beigelegt wird. Nun wurde der Kompromiss ausgehandelt, dass der Einleger darüber informiert, dass die Publikation dem Ansatz der sozioökonomischen Bildung folgt und ganzheitliche sozialwissenschaftliche Perspektiven eröffnet. Auch wenn die Begleitumstände für die Autorinnen und Autoren nicht erfreulich waren, dokumentiert dieser Einleger nun doch dauerhaft und öffentlich die Notwendigkeit wissenschaftlicher Pluralität und Multidisziplinarität bei der Analyse ökonomisch geprägter gesellschaftlicher Problem- und Lebenssituationen.
Mit Blick auf die Verantwortung für die Lehrerbildung sowie für die Schülerinnen und Schüler bleiben wir bei unserer grundsätzlichen Kritik daran,
• dass eine z. T. auf mehrere Wochen angelegte Übernahme des Unterrichts durch Unternehmensmitarbeiterinnen und -mitarbeiter den Lehrerberuf diskreditiert,
• dass die Professionalität von Lehrkräften mit dieser Form der „Öffnung von Schule“ einen nachhaltigen Reputationsverlust erfährt,
• dass das Engagement privatwirtschaftlicher Akteure eine Schieflage zu Lasten solcher Interessengruppen entstehen lässt, die nicht über die nötigen finanziellen und personellen Ressourcen für schulische Lobbyarbeit verfügen (wie z. B. Wohlfahrts- und Umweltverbände, Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe, aber auch Gewerkschaften oder klassische Nichtregierungsorganisationen),
• dass immer dann, wenn Unternehmen in Schulen Werbung platzieren, eine langfristig wirksam bleibende Beeinflussung von Kindern und Jugendlichen stattfindet.
Der TuM-Band „Ökonomie und Gesellschaft“ ist kein Schulbuch, sondern eine Unterrichtsmaterial-Sammlung für Lehrkräfte sowie Dozentinnen und Dozenten der außerschulischen politisch-ökonomischen Bildung. Lehrende können Einzelmaterialien aus dem TuM-Band für ihre Lehre entnehmen. Aus diesem Grund sind die Bausteine im Regelfall auch nicht als Unterrichtseinheiten konzipiert. Wir haben uns bei der Auswahl der Themen an den Bildungsplänen der Bundesländer orientiert.
Bei den TuM-Publikationen werden üblicherweise auf nur vier bis sechs Druckseiten die Beiträge fachwissenschaftlich gerahmt, wobei auf Zitate und Quellenbelege nach dem Publikationskonzept möglichst verzichtet werden soll. TuM erhebt daher nicht den Anspruch einer umfassenden wissenschaftlichen Fachpublikation. Es beansprucht auch nicht, den fachwissenschaftlichen Diskurs zu einem Thema in seiner gesamten Breite aufzuarbeiten, sondern kann nur Schlaglichter aufzeigen.
Wir haben Vertrauen in die Lehrenden, dass sie professionell mit den Unterrichtsmaterialien umgehen. Zugleich haben wir Vertrauen in eine wachsam bleibende Öffentlichkeit, der mit dem TuM-Zensurskandal verdeutlicht wurde, wie weitreichend Lobbyverbände auch im Schulwesen Einfluss nehmen.
Tim Engartner, Reinhold Hedtke, Bettina Zurstrassen