Der Bundespräsident und die ökonomische Grundbildung

Der Bundespräsident hat die Eröffnungsrede zum 20. Deutschen Bankentag 2014 in Berlin gehalten. Mit dieser Rede, so Spiegel-Online, hat er sich den Beinamen "der Banker-Versteher" verdient. Das Handelsblatt titelt in einem Beitrag vom 10.4. "Der Freund der Finanzprofis" und spricht von "Gauck fordert mehr Wirtschaft in der Schule".
FAZ und faz.net setzen damit ihre bekannt tendenziöse Berichterstattung zum Thema ökonomische Bildung an Schulen fort. Die Redaktion bleibt ihrer bildungspolitischen Agenda in Sachen Schulfach Wirtschaft treu, und lässt sich dabei von Fakten nicht irritieren, wie der unten abgedruckte Wortlaut der Gauck-Rede eindeutig belegt. So macht man eine Fiktion zur Schlagzeile. Journalistische Professionalität? Hauptsache, die Meldung passt ins politische Programm.
Schon im Januar zeigte sich die FAZ in einem bildungspolitisch strategisch gut terminierten Bericht über den Modellversuch Wirtschaft an Realschulen in NRW immun gegenüber Fakten und offen für Fiktionen. Sie titelte "Schüler wollen Wirtschaft als Fach - Grüne nicht", obwohl die Schüler nie dazu befragt wurden. Eine falsche Meldung und eine tendenziöse Berichterstattung stören wohl nicht, wenn die politische Richtung stimmt.
Reinhold Hedtke
Wortlaut der vom Bundespräsidenten zum 20. Bankentag gehaltenen Rede (gesprochenes Wort laut Videoaufzeichnung des Bankenverbands)
Quelle: http://www.bundespraesident.de/SharedDocs/Reden/DE/Joachim-Gauck/Reden/2014/04/140409-Bankentag-Eroeffnung.html besucht am 9.4.2014
„Banken, ich habe es eben erwähnt, haben hier eine Bringschuld. Aber Bürger haben auch eine Holschuld. Wer die Quellen unseres Wohlstands verstehen, persönliche Chancen nutzen und Risiken einschätzen will, der muss sich informieren und in Finanzfragen kompetenter werden. Er darf sich nicht auf den Standpunkt zurückziehen, dass man über Geld nicht spricht.
Zum informierten Bürger gehört eine ökonomische Grundbildung. Studien belegen, dass viele Deutsche hier Nachholbedarf haben. Ich weiß, dass einiges getan wird, um ökonomisches Wissen kreativ zu vermitteln. Da gibt es Planspiele, bei denen junge Menschen an der Börse handeln oder Firmen gründen und wie Unternehmer agieren, von der Produktentwicklung bis hin zu Marketing und Vertrieb. Auch der Bankenverband leistet auf diesem Gebiet einen guten Beitrag. Trotzdem frage ich mich: Wird die ökonomische Bildung in unseren Schulen und Berufsschulen ausreichend berücksichtigt? Hat das Wissen über ökonomische Zusammenhänge den gleichen Rang, den die Ökonomie für unser Leben und Wirtschaften hat?
Das ist nicht nur wichtig, damit der Einzelne gute Entscheidungen für sich selbst treffen kann. Wie durch politische Bildung Urteilsfähigkeit und Engagement junger Mitbürger gefördert werden, so ist auch die Fähigkeit wichtig, wirtschaftspolitische Debatten zu verfolgen, sich ein eigenes Urteil zu bilden und sich selbst an diesen Debatten zu beteiligen. Das gehört elementar zur Demokratie. Deren Schlüsselfigur ist bekanntlich der vielzitierte "mündige Bürger". Und der ist auch gefragt, wenn es um die Gestaltung unserer Wirtschaftsordnung geht. Nicht nur politische, auch ökonomische Apathie und Unwissenheit sind gefährlich.
Wie wichtig die Fähigkeit zum öffentlichen Gespräch über wirtschaftliche Fragen ist, zeigt sich gerade, wenn es darum geht, die Konsequenzen aus der Krise zu ziehen: Welche Regeln brauchen Banken, welche Grenzen die Märkte? Welche Rolle spielt die Geldpolitik, welche Macht darf sie ausüben? Und wie finden wir den Weg aus der hohen Staatsverschuldung?“