"Wirtschaftsunterricht ist immer ideologisch"

Manche Themen haben derzeit internationale Konjunktur, das Wirtschaftswissen gehört dazu. Auch in der Schweiz debattiert man darüber, welches Wirtschaftswissen wichtig ist und welches wie in der Schule zu vermitteln ist. In einer Serie lässt die Basler Zeitung unterschiedliche Positionen zu Wort kommen.
In einem Interview betont der Bildungsstaatssekretär Dell'Ambrogio den engen Zusammenhang von Politik und Wirtschaft. Darauf solle sich die Schule konzentrieren, praktisches Wirtschaftswissen sei für sie weniger wichtig.
Der Tagesanzeiger titelt "Ein Volk von Wirtschaftslaien". Auch die Schweizer jammern also, wie schlecht ihr Wirtschaftswissen sei - und können ebensowenig wie die Deutschen erklären, warum die Volkswirtschaften dennoch so erfolgreich und die Bevölkerungen vergleichsweise so vermögend sind. Das obligatorische Wissensquiz mit 12 Fragen zum Thema Geld ist auch dabei, zusammengestellt von der Schweizer Nationalbank.
Erstaunliches am Rande: Ausgerechnet im Mutterland des liberalen Kapitalismus und dem (ehemaligen?) Shooting Star des Finanzkapitalismus, dem Vereinigten Königreich, schätzen sich die Menschen als finanziell besonders schlecht informiert ein.
Die Initiative "Investmentfonds. Nur für alle" - eine Akquise-Aktivität der deutschen Lobbyorganisation BVI Bundesverband Investment und Asset Management e.V. - lässt sich auch nicht lumpen: Sie gibt eine europäische Umfrage in Auftrag. Was kommt heraus? Keine Überraschung: "Europäer für mehr Finanzbildung in der Schule". Der Branchenverband freut sich, "dass die Europäer Handlungsbedarf bei ihrer privaten Vorsorge sehen". Was tut nun not? Ein eigenes Schulfach Finanzbildung natürlich. Wer soll dort unterrichten? Unter anderem Experten des Lobbyverbandes.
Eigenlob der Finanzindustrie für Einseitigkeiten
Ausgiebig lobt der BVI sich, seine Unterrichtsmaterialien und seine Finanzexperten. Sowohl die Materialien als auch die Experten stoßen aber auf Kritik, weil sie nicht selten einseitig informieren.
Im Materialkompass der Verbraucherzentrale Bundesverband erhält der BVI-Foliensatz "Hoch im Kurs", im Netz vertrieben über die "Arbeitsgemeinschaft Jugend und Bildung", die Note mangelhaft. Schülerinnen und Schülern, die sich "umfassend über unsere Marktwirtschaft" informieren wollen, legt der BVI in seinen Arbeitsblättern bevorzugt die von Arbeitgeberverbänden finanzierte, neoliberal orientierte "Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft" ans Herz.
Ein Beispiel für ideologischen Unterricht bietet die BVI-Schülerbroschüre "Geld, Markt, Wirtschaft" (hier als pdf). Dort betreibt der Lobbyverband unter anderem Desinformation über die Finanzkrise. Sie wird zum einen individualisiert: "Zu den Hauptursachen einer Finanzmarktkrise zählt fehlendes Risikobewusstsein und überzogenes Gewinnstreben einzelner Akteure auf den Finanzmärkten" (S. 12). Zum anderen werden die Banken exkulpiert. Denn man kritisiert scharf die Staatsausgaben auf Pump", verliert aber kein einziges Wort darüber, dass die vielfältigen Bankenrettungsaktionen im Euroraum die aktuellen Staatsschulden in einer Reihe von Ländern wesentlich mitverursachten (S. 13).
Desinformation durch Lobby-Lehrer
Auch die wirtschaftlichen Interessen der Fondsindustrie lassen die Lobby-und Hobby-Lehrer lieber im Dunkeln, ein gerüttelt Maß an didaktischer Desinformation gehört auch hier zum Geschäftsmodell. Gewinn machen nur die Anlegerinnen, die Fondsgesellschaften überprüfen, optimieren, investieren und verwalten fachmännisch deren Vermögen (S. 22), in aller Bescheidenheit decken sie durch Ausgabeaufschläge nur ihre "Beratungs- und Vertriebskosten".
Im Glossar fehlen wichtige Begriffe wie "Verwaltungsgebühren" und "erfolgsabhängige Gebühren", die keineswegs eine bessere Performance garantieren, die für die Anlegerin als Kostentreiber und Renditekiller wirken und mit Sicherheit die Kassen der Fondsgesellschaften füllen. Nur der Ausgabeaufschlag wird erwähnt, man verschweigt, dass er bei Aktienfonds meist um die 5 Prozent beträgt. Der unverbindlich-unkonkrete Hinweis, dass Geldanlage Geld kostet, erscheint nur in einer bescheidenen Fußzeile (S. 19).
Kosten kaschieren
Natürlich gibt es auch keine Beispielrechnung, die zeigt, in welchem Umfang zunächst all diese Kosten zuzüglich der Depot(bank)gebühren verdient werden müssen, bevor die Anlegerin anfängt, eine Nettorendite zu erzielen. Keine Information darüber, dass die Fondsgesellschaft immer verdient, egal wie sich die Anlageerträge entwickeln.
Die Broschüre unterschlägt auch die Existenz kostengünstiger Indexfonds, obwohl sie im Vergleich zu vielen aktiv gemanagten Fonds oft eine bessere Performance boten.
Diese konsequente Intransparenz kaschieren die Autoren, indem sie auffällig groß herausstellen, dass drei Viertel der Anlegerinnen Investmentfonds bevorzugen, weil "die Kosten transparent sind" (S. 20; diese Daten hat der Verband mit einer beauftragten Befragung selbst produzieren lassen). Zynischer kann man mit dem berechtigten Interesse jugendlicher Lerner an ökonomischer Aufklärung kaum umgehen.
Auf diese Art von finanzieller Zwangsbildung, die ganz überwiegend den Profitinteressen einer Branche und der Erschließung neuer Kundengenerationen dient und dazu auch Desinformationen verbreitet, kann man in öffentlichen Schulen wirklich gut verzichten.
Kauft mehr Kredite, vertraut den Banken!
Der Schufa-Kredit-Kompass 2013 stellt fest, dass 82 Prozent der 18-19-Jährigen noch nie einen Kredit aufgenommen haben. Welch ein wunderbares Marktpotenzial - wäre da nicht das geringe Vertrauen der Jugendlichen in die Banken, das Andreas Knaut von der Schufa in einem Interview mit dradio beklagt. Weil sie zu wenig über Finanzen wissen, halten sie sich bei der Kreditaufnahme zurück, so die OTS/dpa-Meldung vom 16.4.2013. Das Problem liegt also auf der Hand, deshalb muss Finanzbildung her.
Ein bisschen Basiswissen über die kapitalistische Wachstumswirtschaft liefert der Schufa-Mann auf dradio gleich mit. Er betont, "dass unser heutiges Wirtschafts- und Konsumleben das Instrument des Kredits, der Rate braucht. Sie können ja heute viele teurere Güter wie Auto usw. ohne Ratenzahlung gar nicht mehr bezahlen. Und aus diesem Grund ist es wichtig, um sozusagen ein Konsumleben in Gang zu halten." In diesem Sinne will auch die Schufa jetzt mehr Unterrichtsmaterial über Wirtschaft, Geld und Kredit verbreiten.
An Interessenten, die aus Klassenzimmern Kassenzimmer machen wollen, herrscht offenbar kein Mangel.
Reinhold Hedtke
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