Vorbild USA

Am 5.1.2012 hat die American Economic Association AEA in einer Pressemitteilung ihre Anforderungen an die Transparenz über Interessenkonflikte von wissenschaftlichen Autorinnen und Autoren deutlich verschärft (Extensions to Principles for Author Disclosure of Conflict of Interest, pdf). Die Süddeutsche Zeitung berichtete darüber ("Wirtschaftsforscher legen ihre Konten offen"). Es dürfte höchst aufschlussreich sein zu erfahren, wer die in Deutschland öffentlichkeitswirksamen Wirtschaftsexperten mitfinanziert.
Auch in Deutschland ist eine Transparenz über die Finanzierung von Konzeptionen, Forschungsprojekten, Bildungsstandards, Lehrerfortbildungsangeboten, Lehr-Lern-Materialien aller Art und Web-Portalen der ökonomischen Bildung in Deutschland dringend erforderlich. Deshalb sollte man diskutieren, ob zukünftig in all diesen Fällen die Finanzierung rückhaltlos offen gelegt werden muss, z.B. durch klare Angaben über Geldgeber, Geldbeträge und Geldempfänger im Impressum des Materials.
Die AEA verlangt für ihre Zeitschriften:
"(1) Every submitted article should state the sources of financial support for the particular research it describes. If none, that fact should be stated.
(2) Each author of a submitted article should identify each interested party from whom he or she has received significant financial support, summing to at least $10,000 in the past three years, in the form of consultant fees, retainers, grants and the like. The disclosure requirement also includes in-kind support, such as providing access to data."
Die besondere Abhängigkeit der ökonomischen Bildung in Deutschland von unternehmerischen und konservativ-wirtschaftsliberalen Interessengruppen liegt auf der Hand. Viele solcher dubiosen Verbindungen hat die Netzwerkstudie (s. u.) der Initiative für eine bessere ökonomische Bildung belegt.
Beispielsweise wurden viele Konzeptionen ökonomischer Bildung von Lobbygruppen der unternehmerischen Wirtschaft finanziert. Insbesondere konservative Stiftungen stellen Mittel zur Verfügung. Über Materialien des Oldenburger Instituts für ökonomische Bildung nehmen Unternehmen direkt einseitig Einfluss auf den Unterricht. Unternehmen und unternehmernahe Organisationen geben gelegentlich Geld für Stiftungsprofessuren, um die Lehrerausbildung in ihrem Sinne zu beeinflussen und über diese Multiplikatoren langfristig ihren Einfluss auf eine unternehmer- und kapitalismusfreundliche Ausrichtung des Wirtschaftsunterrichts zur sichern.
Kritisch mit der Einflussnahme privatwirtschaftlicher Unternehmen auf Lehre und Forschung an öffentlichen Hochschulen mit dem Instrument von (meist zeitlich befristeten und danach vom Steuerzahler zu finanzierenden) Stiftungsprofessuren setzen sich Kim-Björn Becker und Johann Osel in ihrem Beitrag "Stifter und Unruhestifter" in der Süddeutschen Zeitung auseinander (16.1.2012). Viele Hochschullehrer und der Deutsche Hochschulverband kritisieren schon länger die Gefahr der zunehmenden Außensteuerung der Universitäten und die damit verbundene Beeinträchtigung der Freiheit von Forschung und Lehre: Wolle der Stifter konkrete Ergebnisse sehen, führe das zu "einer Schere im Kopf, die mit fachlicher und geistiger Unabhängigkeit nicht vereinbar ist" (Bernhard Kempen nach SZ online 16.1.2012).
Auch viele der Web-Portale, die Angebote zur ökonomischen Bildung machen und sich damit an Schüler/innen und Lehrer/innen richten, wie z.B. "Jugend und Bildung", finanzieren sich aus völlig unbekannten Quellen. Oft agieren sie in einem nicht näher dargelegten Netzwerk ökonomischer und politischer Interessen.
Nicht selten werden die Finanziers ganz bewusst kaschiert, um den Anschein der Unabhängigkeit zu erwecken, so z. B. bei der Bundesarbeitsgemeinschaft Schule/Wirtschaft, die von den Arbeitgebergeberverbänden finanziert und gesteuert wird. Auch Organisationen wie z. B. das IÖB sollten öffentlich machen, woher im Einzelnen ihre Einnahmen stammen.
Inzwischen hat LobbyControl die "Forderung nach mehr Transparenz in den Wirtschaftswissenschaften" der AEA aufgegriffen.
Auch im Handelsblatt berichtete Olaf Storbeck unter dem Titel "Wie bei den Anonymen Alkoholikern" über die Jahrestagung der AEA und mit "Geschmierte Ökonomen" über das Problem der Interessenkonflikte bei Wirtschaftswissenschaftlern und die Forderung nach Transparenz der finanziellen und sonstigen Abhängigkeit von Experten.
Bereits im Februar 2011 berichtete das Handelsblatt über Ökonomen als "Die heimlichen Lobbyisten", die in Verwaltungsräten von Ratingagenturen, Versicherungskonzernen oder Hedge-Fonds sitzen und in Interessenkonflikte mit ihren Forschungs- und Beratungstätigkeiten kommen können. Es wäre sicher interessant, auch im Bildungsbereich und ganz besonders in der ökonomischen Bildung nach möglichen Interessenkonflikten zu suchen, z. B. durch die Mitgliedschaft in Aufsichtsräten und Beiräten von Konzernen, Stiftungen und Lobbyorganisationen.
Man darf gespannt sein, ob das Handelsblatt die Transparenzrichtlinien auf das eigene Geschäft mit Wirtschaftsdidaktikern im Umfeld von "Handelsblatt macht Schule" anwenden wird. Eine Offenlegung der fragwürdigen Finanzströme zwischen Medienkonzern, Oldenburger Institut für ökonomische Bildung, Konzernen aus der Finanz- und Energiebranche wie Deutsche Bank, Deutsche Vermögensverwaltung oder EWE und Lobbyisten wie Deutscher Industrie- und Handelskammertag und Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft wäre dringend notwendig.
"Das Risiko, dass Ökonomen unbewusst von Interessengruppen beeinflusst würden, sei groß, argumentierte Zingales, der bei der AEA-Tagung "empirische Belege dafür" lieferte, "wie Ökonomen wichtigen Interessengruppen nach dem Mund reden", schreibt Storbeck in seinem Beitrag über die neuen Transparenzregeln. Dass dies in der orthodoxen und in der wirtschaftsverbandsnahen Strömung innerhalb der deutschen Wirtschaftsdidaktik ebenfalls an der Tagesordnung ist, zeigen zahlreiche einseitige Unterrichtsmaterialien, beispielsweise auch einige, die das Handelsblatt zusammen mit dem IÖB Oldenburg vertreibt. Die politisch einseitige Vernetzung dieser wirtschaftsdidaktischen Strömungen hat die Netzwerkstudie der Initiative für eine bessere ökonomische Bildung nachgewiesen, s.u.
Auch die FAZ setzt sich mit dem Thema auseinander: "Amerikas Ökonomen geben sich Ethikregeln" und "Auch deutsche Ökonomen wollen sich Ethikregeln geben".
Reinhold Hedtke
Garantiert OFF Sponsoring
Ein Beitrag Ohne fremde Finanzierung