de Waal: Das Prinzip Empathie

Der Verhaltens- und Primatenforscher Frans de Waal präsentiert in seinem jetzt auch auf Deutsch vorliegenden Buch "Das Prinzip Empathie" (2011) vielfältige empirische Evidenz gegen das Akteursmodell des homo oeconomicus, das vom Mainstream der Wirtschaftsdidaktik als das Denkmuster ökonomischer Bildung propagiert wird.
Hier einige einschlägige Argumente aus de Waals Buch:
Verkürztes Denken in den Kategorien des Geldes
"Jede Gesellschaft muss ein Gleichgewicht zwischen egoistischen und sozialen Motiven herstellen, um dafür zu sorgen, dass die Wirtschaft der Gesellschaft dient und nicht umgekehrt. Häufig vernachlässigen Wirtschaftswissenschaftler diese Dynamik und denken ausschließlich in den Kategorien des Geldes. Der gefeierte Ökonom Milton Friedman erklärte: 'Es gibt wenig Entwicklungstendenzen, die so gründlich das Fundament unserer freien Gesellschaft untergraben können, wie die Annahme einer anderen sozialen Verantwortung durch Unternehmer als die, für die Aktionäre ihrer Gesellschaften soviel Gewinn wie möglich zu erwirtschaften.' Damit vertrat Friedman eine Ideologie, die den Menschen auf den letzten Platz verbannte.
Selbst wenn Friedman den Zusammenhang zwischen Geld und Freiheit theoretisch richtig beurteilt hätte, bliebe festzustellen, dass Geld in der Praxis korrumpiert. Allzu häufig führt es zu Ausbeutung, Ungerechtigkeit und zügelloser Unehrlichkeit." (S. 56)
Geld, Gier, Geschlecht und Gerechtigkeit
"Traditionelle Wirtschaftsmodelle vernachlässigen das menschliche Gerechtigkeitsempfinden, obwohl es nachweislich wirtschaftliche Entscheidungen beeinflusst. Überhaupt übergehen sie die menschlichen Gefühle, obwohl doch das Gehirn des Homo oeconomicus kaum einen Unterschied zwischen Sex und Geld macht. Die Werbebranche weiß das nur zu gut (…) Doch Wirtschaftswissenschaftler stellen sich lieber eine hypothetische Welt vor, die von Marktkräften und auf Eigennutz gegründeten rationalen Entscheidung angetrieben wird.
Diese Welt entspricht zweifellos einigen Mitgliedern der menschlichen Spezies, die ohne Not aus rein egoistischen Motiven handeln andere skrupellos ausnutzen. in den meisten Experimenten sind solche Leute jedoch in der Minderheit. Die Mehrheit ist altruistisch, kooperativ, hat Sinn für Gerechtigkeit und handelt nach gemeinschaftlichen Zielen. Das Maß an Vertrauen und Kooperation unter ihnen übertrifft die Vorhersagen ökonomischer Modelle." (S. 210 f.)
Verhaltensannahmen produzieren das angenommene Verhalten
"Offenbar haben wir ein Problem, wenn Annahmen sich nicht mit tatsächlichem menschlichem Verhalten decken. Die These, dass wir lediglich berechnende Opportunisten sind, birgt die Gefahr, dass sie uns genau in Richtung eines solchen Verhaltens drängt. Sie untergräbt unser Vertrauen in andere und macht uns dadurch vorsichtig statt großzügig. Dazu der amerikanische Ökonom Robert Frank:
'Was wir für uns selbst anstreben, wird von den Vorstellungen bestimmt, die wir von uns unsere Möglichkeiten haben (...) Hier sind die schädlichen Wirkungen des Eigennutz-Modells besonders besorgniserregend (...) Indem es uns dazu anhält, von anderen das Schlimmste zu erwarten, bringt es auch in uns das Schlimmste hervor: Um nicht zum Trottel gemacht zu werden, setzen wir uns oft über unsere anständigeren Gefühle hinweg.'" (S. 211)
Universale Ungleichheitsaversion?
Manche Wirtschaftsdidaktiker betrachten die verbreitete Aversion gegen Ungleichheit als eine problematische Einstellung, die durch Wirtschaftsunterricht überwunden werden müsse. Die Verhaltensforschung kommt jedoch zu durchaus anderen Ergebnissen:
"Wir sind alle für Fairplay, solange es unseren Interessen dient. (...) Die Möglichkeit neidischer Reaktionen ist der Hauptgrund, warum wir uns um Gerechtigkeit bemühen, selbst wenn wir im Vorteil sind. (...) Die wichtigsten Emotionen dabei sind egozentrisch und kreisen um die Frage, was wir im Vergleich zu anderen bekommen und welchen Eindruck auf andere machen (im möchten gerne als gerecht gelten). Erst in zweiter Linie kommt echte Anteilnahme für andere zum Zug, vor allem, weil wir uns nach einer lebenswerten, harmonischen Gesellschaft sehnen." (S. 238 f.)
"Die goldene Regel wird universell anerkannt, und die meisten von uns kommen an den Punkt, wo sie der ehrlichen Meinung sind, dass andere die gleiche Behandlung verdienen, die sie sich selbst wünschen. Diese Rationalisierung der Gerechtigkeit, die dem Begriff zusätzliches Gewicht verleiht, fällt uns schwer, doch tief in unserem Inneren wissen wir, was auf dem Spiel steht. Wir können Gerechtigkeit und Fairness noch so edle Gründe unterstellen, sie bleiben fest gegründet auf unser ureigenes Interesse an einer harmonischen und produktiven sozialen Umwelt. (...)
Die Ungleichheitsaversion wird sich zweifellos als ein ergiebiges Forschungsfeld herausstellen, zumal es keinen Grund für die Annahme gibt, sie wäre auf Primaten beschränkt. Sie darf meiner Meinung nach bei allen geselligen Tieren vorausgesetzt werden." (S. 248 f.)
"Ungleichheit tötet"
Richard Wilkinson, ein britischer Ökonom, Sozialhistoriker, der vor allem als Sozialepidemiologe und Gesundheitswissenschaftler arbeitete. Er fasst die empirischen Befunde zu Einkommensungleicheit, Gesundheit und Lebenserwartung knapp zusammen (vgl. auch Kate Pickett, Richard Wilkinson: Gleichheit ist Glück. Warum gerechte Gesellschaften für alle besser sind. Berlin 2009. Ferner die Webseite des Equality Trust):
"'Ungleichheit tötet.' Er glaubt, dass Einkommensgräben soziale Gräben aufreißen. Sie zerstörten die Gesellschaft, indem sie das gegenseitige Vertrauen zerstören, die Gewalt steigern und Ängste schüren, die das Immunsystem der Reichen wie der Armen schwächen. Die negativen Auswirkungen erfassen die ganze Gesellschaft:
'Sehr wahrscheinlich liegt der Grund für den Zusammenhang zwischen Ungleichheit und Gesundheit darin, dass jene stellvertretend für die Größenordnung der Schichtunterschiede in einer Gesellschaft steht. In ihr dürften das ganze Ausmaß sozialer Gegensätze und die begleitenden Gefühle von Über- und Unterlegenheit oder Missachtung zum Ausdruck kommen.'" (S. 256)
Der ganze Adam Smith
"Der Fehler von Greenspanund anderen Angebotsökonomen war die Annahme, dass der freie Markt, obwohl an sich keine moralische Veranstaltung, die Gesellschaft in Richtung eines Zustands lenke, in dem für die Interessen aller ideal gesorgt werden. Hatte nicht ihr Halbgott Milton Friedman erklärt, das soziale Verantwortung im Widerspruch zur Freiheit stehe? Und hatte ihnen nicht Adam Smith, eine noch höhere Autorität, die Metapher von der 'unsichtbaren Hand' geliefert, wonach selbst die egoistischsten Motive automatisch das Allgemeinwohl fördern? Der freie Markt weiß, was am besten für uns ist. (...)
Leider sind diese Verweise auf Smith selektiv. Se unterschlagen einen wesentlichen Teil seines Denkens, der weit eher den Standpunkt entspricht, den ich in diesem Buch vertreten: dass nämlich das Bestreben, die Gier zur Triebkraft der Gesellschaft zu machen, ihren Zusammenhalt untergraben muss. Smith verstand die Gesellschaft als eine riesige Maschine, deren Räderwerk von der Tugend geschmiert werde, während das Laster sie zum Knirschen bringen. Die Maschine könne ohne ein starkes Gemeinschaftsgefühl bei jedem Bürger nicht reibungslos laufen. Häufig verweist Smith auf Ehrlichkeit, Moral, Mitgefühl und Gerechtigkeit, die er als unentbehrliche Begleiter der unsichtbaren Hand des Marktes versteht.
Tatsächlich hängt das Wohl der Gesellschaft noch vor einer zweiten unsichtbaren Hand ab, einer, die anderen Menschen gereicht wird. Das Gefühl, dass kein Mensch dem anderen gleichgültig sein darf, wenn wir eine Gemeinschaft schaffen wollen, die diesen Namen verdient, ist die zweite Kraft, die unseren Umgang miteinander bestimmt." (S. 286 f.)
Macho-Bias in wirtschaftswissenschaftlichen Denkweisen?
"Kommen an Wirtschaftsfakultäten Ethik und Verpflichtung gegenüber dem Gemeinwohl jemals anders als unter dem Gesichtspunkt ihres Nutzens für das Wirtschaftsgeschehen zur Sprache? Schenken sie Stakeholdern die gleiche Aufmerksamkeit wie den Shareholdern? Und warum lockt die dismal science - die 'trostlose Wissenschaft', wie Thomas Carlyle die Volkswirtschaft im 19. Jahrhundert nannte - so wenige Studentinnen an und hat nie eine Nobelpreisträgerin hervorgebracht? Könnte es sein, dass Frauen nichts mit der Karikatur eines rationalen Wesens anfangen können, dessen einziges Lebensziel die Gewinnmaximierung ist? Wo bleiben dabei die menschlichen Beziehungen?" (S. 287)