Streeck, Wolfgang 2009. Man weiß es nicht so genau. Vom Nutzen der Sozialwissenschaften für die Politik.

„Wissenschaftliche Politikberatung, in anderen Worten, besteht auch, und heute vielleicht heute mehr denn je, aus methodisch disziplinierter, aber deshalb nicht weniger praktisch relevanter, verantwortungsbewusster Auseinandersetzung über die theoretischen Prämissen politischen Handelns (…). Das Weltbild, das dabei heute nach meiner Meinung in erster Linie zur kritischen Debatte stehen muss, und eigentlich schon lange vor der gegenwärtigen Finanzkrise viel rücksichtsloser zu dieser hätte gestellt werden müssen, ist das der Standardökonomie, mit ihrem vom rationalen Egoismus autistischer Kalkulationsautomaten getriebenen Maschinenmodell einer sozialen Welt, die von selbst zur besten aller Welten wird, wenn die Politik sie nur dem sogenannten freien Spiel der Marktkräfte überlässt.

Welch katastrophale Folgen es haben kann, wenn eine Regierung auf eine Theorie hereinfällt, die so falsch ist wie diese, zeigt der jüngste Zusammenbruch des Weltfinanzsystems. (…)

Wissenschaftliche Politikberatung heute heißt vor allem Aufklärung über die Grenzen des Eigennutz-Gleichgewichtsmodells sozialer Ordnung (Streeck 2009), wie es von der standardökonomischen Theorie proklamiert und popularisiert wird und wie es sich in viel zu vielen Köpfen von Politikern und Bürgern fest eingenistet hat. Wäre die Aufgabe schon früher erkannt worden, wäre uns möglicherweise das kostspielige Realexperiment erspart geblieben, dessen es bedurft hat, um den Glauben eines Greenspanan seine ‚Ideologie’ zu erschüttern. Wissenschaftliche Debatten können, wenn sie nur rigoros genug geführt werden, handlungsleitende Theorien einem öffentlichen Stresstest unterziehen und so zur Früherkennung von krisenträchtigen Bruchstellen im Weltverständnis der herrschenden Praxis beitragen. Wie viel sich damit dann tatsächlich erreichen lässt, kann man vorher nicht wissen. (Streeck 2009, S. 22, 24)