Die Debatte um die Dilemma-Didaktik

In seinem Buch "Die Nutzenmaximierer. Der aufhaltsame Aufstieg des Vorteilsdenkens" kritisiert Hans-Joachim Niemann scharf die Theorie der Ökonomik, insbesondere ihre "Ideologie des Vorteilsdenkens", die "neue ökonomische Ethik und ihr theoretisches Fundament". Die fachwissenschaftlichen Protagonisten dieser Ökonomik sind in Deutschland vor allem Karl Homann sowie ferner Andreas Suchanek, überzeugte wirtschaftsdidaktische Anhänger sind insbesondere Hans Kaminski und Gerd-Jan Krol (vgl. Hedtke, Konzepte ökonomischer Bildung, 2011, S. 31-44). Sie plädieren für eine ökonomische Bildung, in deren Zentrum die Denkfigur des Dilemmas steht (Dilemma-Didaktik), so etwa Gerd-Jan Krol in seinem Beitrag "'Ökonomische' Bildung ohne 'Ökonomik'? Zur Bildungsrelevanz des ökonomischen Denkansatzes" im Journal of Social Science Education (2001). 
Niemann setzt sich kritisch mit dem Gefangenendilemma und seiner Verabsolutierung im ökonomistischen Weltbild auseinander, das darin die universelle Grundstruktur menschlichen Handelns und das Kernproblem aller modernen Gesellschaften sieht. Als Patentlösung fungieren dann Systeme aus Anreiz und Drohung, die das Vorteilsdenken der Individuen in jeweils gewünschte Richtungen lenken (S. 159).
Dazu auf Moral zu setzen, betrachten die Ökonomiker und ihre Didaktiker als aussichtslos, sie halten den "pädagogischen Ansatz", der auf die Veränderung des Menschen setzt, für "idealistisch" und setzen in allen Fällen anonymer Kontexten mit einer Vielzahl von Akteuren "realistisch" auf die Außensteuerung durch Anreize: Dort sei "das individualethische Paradigma, welches das bisherige Ausbleiben von Kooperationsbeiträgen mittels einer moralischen Kooperationsnorm zu überwinden sucht, allein überfordert". "Entscheidend" für unkooperatives, kollektiv schädliches Handeln - z. B. umweltschädigende Handlungsweisen - seien "die fehllenkenden Anreizstrukturen" (Jan Karpe, Gerd-Jan Krol: Ökonomische Verhaltenstheorie, Theorie der Institutionen und ökonomische Bildung, 1997, S. 90 f.) Niemann dagegen plädiert dafür, "Moral als Problemlösung zu verstehen" (Niemann, S. 198).
Kaminski beispielsweise übernimmt die Theorie der Ökonomik als Basis für die ökonomische Bildung und plädiert für "Dilemmastrukturen als invariante Beobachtungsschemata" des Wirtschaftsunterrichtes (Konzeption für die ökonomische Bildung ..., 2008, S.9). Aber mit den sozialen Interaktionen in der Wirklichkeit haben diese Modelle Niemann zufolge wenig zu tun: "Das Leben ist anders als die Ökonomiker es sich vorstellen" (S. 102). Dort seien Dilemmastrukturen selten, man habe es "fast immer mit Polylemmastrukturen zu tun - also mit dem, was man gemeinhin in Wissenschaft und Alltagsleben Probleme nennt" (S. 149). Deshalb brauche man komplexe Problemlösungsverfahren, wie sie der Kritische Rationalismus ausgearbeitet habe. "Je mehr Alternativlösungen man analysiert, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, eine gute zu finden" (S. 150).
Andererseits, so Niemann, bereite der "Ökonomismus als Ideologie .. offenbar der Ökonomik als Theorie der Ethik genau den Boden, auf dem sie wahr werden kann" (S. 48). Diese ökonomische Theorie wirke also selbstverstärkend und selbstverbreitend, sie erzeuge erst die soziale Realität, die sie als immer schon gegeben unterstellt.
Ähnlich analysiert Ulrich Bröckling in seinem Buch "Das unternehmerische Selbst. Soziologie einer Subjektivierungsform. 2007" die reale Wirkung des homo-oeconomicus-Leitbilds: "Wenn es kein Verhalten gibt, dass sich nicht in Kosten-Nutzen-Kalkülen beschreiben lässt, dann haben die Menschen gar keine andere Wahl, als in all ihren Handlungen Wahlentscheidungen zu treffen. Der ökonomische Ansatz identifiziert sie immer schon als jene nutzenmaximierenden Marktsubjekte, zu denen sie erst gemacht werden und sich selbst machen" (S. 90).
Hier muss die wirtschaftsdidaktische Kritik ansetzen:
Erstens. Eine ökonomische Bildung, die einzig und allein die Ökonomik zu ihrem theoretischen Kern erhebt, trägt zur sich selbst erfüllenden Prophezeiung der "zynischen Gesellschaftstheorie" mit dem Glaubenssatz "Alle denken doch immer nur an ihren eigenen Vorteil!" bei (S. 48). Die Dilemma-Didaktik ist dann nicht die Lösung, mit man ein angemessenes Weltverständnis der Lernenden erreicht, sondern das Problem. Der im Unterricht erzeugte Glaube an das ubiquitäre Vorteilsdenken in Dilemmastrukturen produziert das Geglaubte erst dadurch, dass die Lernenden antizipieren, dass alle sich so verhielten, und hören, nur durch eigenen Egoismus könne man sich gegen die anderen Egoisten schützen. Alles andere sei eine Angelegenheit der Politik, die mit Anreizen und Sanktionen nur die richtigen Rahmenbedingungen setzen müsse.
Zweitens. Eine nur der Ökonomik und ihrer ökonomischen Ethik verpflichtete ökonomische Bildung ist einseitig und im Ergebnis manipulativ. Durch Verengung auf das ökonomistische Lösungsschema verhindert sie eine angemessene Auseinandersetzung mit alternativen Problemlösungen. Als Alternativen zur Ökonomik skizziert Niemann "Säkulare Moral und Problemlösungsethik". "Ihre Prinzipien, Maximen, Regeln, Traditionen, Gewohnheiten, Charakterhaltungen, Vorbilder, moralische Gefühle funktionieren erstaunlich gut, obgleich es keinen verbindlichen Kanon gibt" (S. 196 f.). Diese "heutige Praxis problemlösender Moral" speise sich aus verschiedenen Quellen, ihr fehle aber noch eine anerkannte Theorie (S. 197). Für die ökonomische Bildung bedeutet dies: sie muss von ihren Grundlagen an pluralistisch konzipiert werden und kann sich nicht nur auf die Ökonomik beschränken.
Eine kritische Debatte über die theoretischen Grundlagen ökonomischer Bildung erscheint dringend erforderlich. Die Engführung des Lernens auf das Paradigma der Ökonomik und seine Ethik und Moral muss ein Ende finden. Multidimensionale Problemorientierung als Leitidee ökonomischer Bildung muss die eindimensionale Dilemma-Didaktik ablösen. Problemorientierung als Prinzip fordert auch die initiative für eine bessere ökonomische bildung, siehe ihren Beitrag "